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Bahnhof



Der Bahnhof ist ein Ort, an dem Geschichten beginnen und enden, an dem Menschen sich begegnen, verabschieden oder einander durch Zufall wiederfinden. Wenn man ihn betritt, umfängt einen dieser eigentümliche Geruch aus altem Metall, Kaffee, Reinigungsmitteln und dem Hauch von Fernweh. Die Hallen sind hoch, oft widerhallen darin Stimmen und Durchsagen, vermischt mit dem Quietschen heranrollender Züge und dem gleichmäßigen Ticken großer Uhren, die von der Zeit erzählen, die hier niemals stillsteht. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen, ein Pulsieren aus Bewegung und Erwartung. Menschen hasten mit rollenden Koffern über die Bahnsteige, schauen auf ihre Smartphones oder in die Anzeigetafeln, auf denen in grellem Orange Verspätungen, Gleiswechsel und Anschlusszüge erscheinen. Andere sitzen einfach nur da, versunken in Gedanken, ihre Augen schweifen über das Treiben, während sie auf etwas oder jemanden warten.

Der Bahnhof ist ein Spiegel der Gesellschaft, ein Mikrokosmos aus Alltag und Ausnahmezustand zugleich. Da ist der Mann mit dem zerknitterten Mantel, der schon den dritten Tag auf der Holzbank schläft, da sind die jungen Rucksackreisenden mit glühenden Gesichtern voller Pläne und Vorfreude, da ist das ältere Paar, das sich schweigend an der Hand hält, einander vertraut inmitten des Trubels. Auf dem Gleis gegenüber steht ein Zug bereit zur Abfahrt, sein Inneres beleuchtet wie ein Tunnel in eine andere Welt. Türen öffnen sich zischend, Menschen steigen ein, einige winken noch einmal, andere wenden sich schon ab, der Blick fest nach vorn gerichtet.

In den Geschäften unter dem Glasdach riecht es nach frisch gebackenen Brezeln und billigem Parfüm aus dem Drogerieladen nebenan. Die Kassierer kennen viele Gesichter nur flüchtig, doch ihre Blicke sind wach, ihre Bewegungen routiniert. Über allem hängt der monotone Klang der Durchsagen: „Der ICE nach Berlin Hauptbahnhof fährt heute abweichend von Gleis sieben.“ Ein kurzer Moment der Irritation auf den Gesichtern der Wartenden, ein rascher Schritt, dann wieder das Warten, das Hoffen, das Reisen.

Wenn es draußen regnet, perlen die Tropfen an den Fenstern der Wartehalle ab wie flüchtige Erinnerungen. Man kann durch die Scheiben sehen, wie Züge wie silberne Tiere vorbeigleiten, als gehörten sie zu einer anderen Dimension. In der Nacht wird der Bahnhof stiller, aber niemals ganz stumm. Irgendwo klappert immer ein Wagen, irgendwo geht eine Tür, irgendwo hustet jemand. Die Lichter bleiben an, gedämpft, beinahe wachsam.

Ein Bahnhof lebt nicht nur von Zügen und Technik, sondern von den Menschen, die ihn täglich betreten. Ihre Geschichten verweben sich für Sekunden, Minuten oder Stunden, bevor sie weiterziehen, als wären sie nur Schatten auf dem Mosaik aus Pflastersteinen und Stahl. Und wenn man ihn wieder verlässt, bleibt oft ein seltsames Gefühl zurück – als hätte man etwas gesehen, das man nicht ganz begreift, aber das einen dennoch berührt. Ein Bahnhof ist mehr als ein Ort. Er ist eine Bühne, auf der das Leben unaufhörlich spielt.

Created by potrace 1.15, written by Peter Selinger 2001-2017
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